Jagannatha-Tempel Berlin

Einheit und Verschiedenheit

Die Philosophie der Existenz – Ontologie genannt – hat schon viele Denker bis spät in die Nacht wach gehalten. Mittlerweile gibt es unzählige Erklärungen und Beschreibungen der Wahrheit bzw. ewigen Existenz. Die vielleicht grundlegendste Frage ist: ist die Wahrheit letztendlich eins oder gibt es so etwas wie eine ewige Vielfalt oder Verschiedenheit?

Monisten lehnen die Verschiedenheit als illusorisch ab und berufen sich darauf, dass die Wahrheit letztlich als eine unpersönliche Einheit existiert. Diese Sichtweise, welche Verschiedenheit kategorisch ablehnt, ist – aus philosophischer Sicht – nicht unproblematisch: 1) Wenn es nur eine wahre Substanz gibt und nichts zweites, woher kommt dann die Illusion? 2) Wie kann es sein, dass andere Seelen „in Illusion“ bleiben, wenn eine Seele Erleuchtung erlangt, wo doch, gemäß dieser Philosophie, alle Seelen letztlich die eine, gleiche Seele sind?

Ebenso problematisch sind Philosophien, welche davon ausgehen, dass es keine Einheit in der Wahrheit gibt und sie letztlich aus unzähligen, unzusammenhängenden Teilen besteht. Deutlich wird: die Idee, Einheit oder Vielfalt völlig zurückweisen zu wollen, ist sehr abwegig.

Viele klassische griechisch-römische Philosophen und auch hervorstechende Denker Indiens lösten diese in Sackgassen endenden Denkrichtungen auf, in dem sie das Offensichtliche aussprachen: die Wahrheit ist letztlich sowohl eins, als auch verschieden. Auch Shri Chaitanya vertritt diese Philosophie, welche er achintya-bedha-abedha nannte. Demnach sind Gott und die einzelnen Seelen sowohl eins, als auch verschieden voneinander.

Ein Beispiel, dass hierfür gegeben wird, ist ein gesundes, romantisches Pärchen. Ein Pärchen (Einheit) besteht aus zwei Individuen (Verschiedenheit). Die Beziehung ist gesund, wenn Einheit und Verschiedenheit richtig balanciert sind. Wenn einer der beiden (oder beide) keine richtige Identität außerhalb der Abhängigkeit vom anderen hat, ist die Einheit zu stark. Wenn die beiden kaum Zeit miteinander verbringen und sich über nichts mehr einig werden, ist die Verschiedenheit zu stark. Man kann also sagen, die beiden sind sowohl eins, als auch verschieden.

Ein anderes Beispiel ist die Wahrnehmung. Ein Mensch, der zu einer gesunden Wahrnehmung im Stande ist, muss zu zwei Dingen fähig sein: einzelne Objekte zu erkennen und ein kohärentes Ganzes zu bilden. Im Sanskrit nennt man diese beiden Fähigkeiten vyasa (differenzieren) und samasa (zusammenführen). Wenn man bei einem Spaziergang zum Beispiel nicht in der Lage ist, den Unterschied zwischen der Straße und dem Fußgängerweg wahrzunehmen, dann hat man ein Problem. Andererseits ist man auch in der Lage alle Einzelheiten, die man wahrnimmt zusammenzuführen zu der einheitlichen Erfahrung „Ich mache einen Spaziergang.“

Auf die ewige Wahrheit angewandt, heißt das, wie gesagt, dass Gott und die individuelle Seele letztendlich sowohl eins, als auch verschieden sind. Shrila Prabhupada drückte es oft so aus: die Seele ist qualitativ eins mit Krishna, oder Gott, und quantitativ verschieden. Das heißt, dass die ewige, erleuchtete Seele die gleichen Eigenschaften wie Gott besitzt – zum Beispiel, dass sie glücklich ist und eine ewige spirituelle Persönlichkeit hat – aber nicht in dem gleichen quantitativen Ausmaß. Während die Seele sich zum Beispiel meist nur über bestimmte Teile der Wahrheit bewusst ist (die eigenen Gedanken und Wahrnehmungen), durchdringt Gottes Bewusstsein alles. Jede einzelne Seele ist demnach also, sowohl mit allen anderen Seelen und Gott eins und verbunden, als auch eine getrennte, individuelle Person.

aus einem Vortrag von Hridayananda dasa Goswami (29. März, 2009), hdgoswami.com

Bartek Ambrozik2

Bild: Bartek Ambrozik

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